Lost
Nach meiner Matura bin ich für ein Jahr nach Paraguay gegangen, um dort als Freiwillige an einer Schule mitzuarbeiten, das Land und die Menschen kennenzulernen und neue Perspektiven zu entdecken.
Im ersten Monat war ich in einer Gastfamilie in Asunción, der Hauptstadt Paraguays, um dort Spanisch zu lernen, weil ich bis dahin noch keine Sprachkenntnisse hatte. Gleich zu Beginn meines Aufenthaltes habe ich mich, zuerst mit meinem Gastbruder, mit einem Bus auf den Weg in die Stadt gemacht. Haltestellen wie in Österreich gab es dort keine, man musste sich einfach an die Straße stellen und den Bus mit einem Handzeichen aufhalten, um anschließend einzusteigen. Die Türen waren meist auch während der Fahrt durchgehend geöffnet, der Busfahrer trank gemütlich Tereré (ein traditionelles Getränk aus Paraguay) und die Busse waren vollgefüllt mit Menschen.
Nach zwei, drei Tagen, traute ich mich dann zum ersten Mal alleine in die Stadt und spazierte nach meinem Kurs durch das Viertel, um ein paar Sachen einzukaufen. Nach einer Weile hatte ich mich dann verirrt und wusste nicht mehr, wie ich zu einer Straße finde, an der auch mein Bus vorbeikommen würde. Nachdem ich kein Smartphone hatte, versuchte ich die nächste Person mit meinem Dreitage-Spanisch nach dem Weg zu fragen. Der Mann begann ein Handzeichen zu machen um anzudeuten, dass ich ihm folgen sollte und spazierte einfach los (in die entgegengesetzte Richtung, von der er gekommen war).
Ich hatte irgendwie ein mulmiges Gefühl im Bauch. „Was wenn er mich irgendwo hinbringt, um mich auszurauben oder mir etwas anzutun?“ Ich fühlte mich hilflos: Ohne Sprachkenntnisse und ohne Kenntnisse der Stadt und des Landes. Trotzdem folgte ich ihm. Nach rund 5 Minuten, zeigte er auf eine Straße und meinte wohl so etwas wie: „Hier kannst du dich an die Straße stellen, da kommt dein Bus vorbei!“. Er verabschiedete sich freundlich und ging den Weg, den wir gekommen waren, wieder retour. Und tatsächlich, nach einer Weile kam wirklich mein Bus wie gewünscht und ich fand den Weg zurück nach Hause.
Das mulmige Gefühl hatte sich aufgelöst in Staunen über die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen. Und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass mich so kleine freudvolle Überraschungen in diesem besonderen Jahr erwarteten und nach und nach habe ich auch gelernt: „Verirrte Menschen“ von weit her den richtigen Weg nicht nur zu zeigen und zu erklären, sondern sie dorthin einfach persönlich zu begleiten ist ganz normal in Paraguay. Eine schöne Geste, wie ich finde. Ich habe dann zurück in Österreich auch damit angefangen.